Antragsfrist für Normenkontrollverfahren gegen funktionslosen Bebauungsplan

§ Kommentar


Antragsfrist für Normenkontrollverfahren gegen funktionslosen Bebauungsplan

Zu BVerwG, Urt. v. 06.04.2016 – 4 CN 3.15 -.

16. Mai 2016

 

Der Normenkontrollantrag gegenüber einem Bebauungsplan kann auch dann nur innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung gestellt werden, wenn der Antragsteller geltend macht, dieser sei funktionslos und deshalb unwirksam geworden.

Mit der Entscheidung hat das BVerwG eine bisher in der Rechtsprechung und im Schrifttum umstrittene bzw. offengelassene Frage (vgl. BVerwG, Urt. v. 3.12.1998 – 4 CN 3.97 –, BVerwGE 108, 71) geklärt. Bereits im Jahr 1977 hat das BVerwG geurteilt: Eine bauplanerische Festsetzung tritt wegen Funktionslosigkeit außer Kraft, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, ihre Verwirklichung auf unabsehbare Zeit ausschließen, und diese Tatsache so offensichtlich ist, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.1977 – IV C 39.75 –, BVerwGE 54, 5.). Bislang war bekannt, dass die Frage, ob ein Bebauungsplan funktionslos geworden ist, auch im Wege eines gerichtlichen Normenkontrollverfahrens gemäß § 47 VwGO Gegenstand sein kann. So auch in diesem Fall, in dem sich ein Antragsteller im Jahr 2013 gegen einen Bebauungsplan aus dem Jahr 1983 wendete und geltend machte, dass dieser wegen Funktionslosigkeit unwirksam geworden sei.

Zum Fristerfordernis für nachträglich rechtswidrig gewordene Rechtsvorschriften hat das BVerwG jedoch entschieden, dass die Fristwahrung unabhängig davon gilt, welche Gründe der Antragsteller für die Unwirksamkeit der Rechtsnorm geltend macht. Der Wortlaut des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist demnach zwingend. Eine Normenkontrolle soll zudem nur in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Erlass der betreffenden Rechtsvorschrift zulässig sein. Den Anforderungen des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) wird ferner genügt, weil die Gerichte im Rahmen der bestehenden Klagemöglichkeiten die Wirksamkeit eines Bebauungsplans, soweit entscheidungserheblich, auch nach Ablauf der Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO inzident prüfen müssen. Der Antrag wurde folglich als unzulässig abgelehnt.

Da Bebauungspläne regelmäßig erst lange Zeit nach ihrer Bekanntmachung funktionslos werden, scheidet eine Normenkontrolle somit in diesen Fällen häufig praktisch aus. Das BVerwG hat somit die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Urt. v. 23.06.2015 – 15 N 13.1553 –, juris) bestätigt und seine Rechtsprechung zu Satzungen nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.06.2015 – 4 BN 31.14 –, juris) fortgeführt.

Dies bedeutet, dass den Bürgerinnen und Bürgern in der Zukunft wohl zumeist nur der Weg der Inzidentkontrolle verbleiben wird. Sie werden nun also Klage gegen den behördlichen Bescheid erheben müssen, der ihrem Vorhaben entgegensteht. Es ist dann im Rahmen des Verwaltungsverfahrens (z. B. Baugenehmigungsverfahren) geltend zu machen, dass eine dem Begehren entgegenstehende Festsetzung funktionslos geworden ist. Die Funktionslosigkeit wird dann im Klageverfahren gegenüber dem Verwaltungsgericht gerügt, denn dieses besitzt Normverwerfungskompetenz. Es ist nicht an die Festsetzungen des Bebauungsplans gebunden und so kann es die Funktionslosigkeit für die Verfahrensbeteiligten feststellen. Da die Gemeinde selbst jedoch keine Normverwerfungskompetenz besitzt, müsste sie nun jeden Bauantrag, der den Festsetzungen wiederspricht (sich aber gerade auf deren Funktionslosigkeit beruft), mit dem Verweis auf die (eigentlich funktionslosen) Festsetzungen ablehnen. Die Gemeinde kann den Bebauungsplan allerdings auch aufheben, um den Rechtsschein schließlich für jedermann zu beseitigen. Sie hat dabei freilich in die Abwägung einzustellen, dass mit der (Teil-)Aufhebung eine andere planungsrechtliche Situation eintritt. Sie kann zudem einen Bebauungsplan erlassen, der (nur) die Funktionslosigkeit des betreffenden Plans oder einzelner Teile feststellt. Die Funktionslosigkeit der früheren Festsetzung stünde auch dann für jedermann fest.


Entscheidung

BVerwG, Urteil vom 06.04.2016 – 4 CN 3.15 [ECLI:DE:BVerwG:2016:060416U4CN3.15.0]