§ Kommentar
Anforderungen des Integrationsgebots: „Anschmiegen“ an zentralen Versorgungsbereich?
Zu OVG Niedersachsen, Beschluss vom 29. September 2014 – 1 MN 102/14 –.
17. August 2015
Im vorliegenden Beschluss hatte der Senat im Rahmen eines Normenkontrollantrags über einen Bebauungsplan zu entscheiden, der ein Sondergebiet für einen Verbrauchermarkt mit rund 3.000 m² Grundfläche auswies. Der Beschluss stellte allerdings noch keine Entscheidung in der Hauptsache dar, jedoch wurde der Bebauungsplan einstweilen außer Vollzug gesetzt, da er gegen das Integrationsgebot verstieß.
Gemäß den Angaben der Antragstellerin – einer benachbarten Kommune – verstieß der Plan der Antragsgegnerin – die den hier behandelten Bebauungsplan als Satzung beschließende Kommune – gegen das Kongruenzgebot, das Beeinträchtigungsverbot, das interkommunale Abstimmungsgebot, das Entwicklungsgebot sowie das Integrationsgebot. Die vier erstgenannten unterstellten Verstöße sollen hier nicht weiter erläutert werden. Bezüglich des durch die Antragstellerin ausgeführten Verstoßes gegen das Integrationsgebot wurden folgende Argumente vorgebracht:
Der Geltungsbereich des Sondergebiets liege zehn Gehminuten vom eigentlichen Ortskern der Antragsgegnerin an der Hauptstraße entfernt; die Entfernung vom Ortskern werde zudem nicht durch ein – auch für Innenstadtnutzer attraktives – Parkplatzangebot kompensiert. Außerdem seien auch für die Kunden nicht ausreichend Parkplätze verfügbar; der Standort sei autokundenorientiert; das Vorhaben befinde sich aufgrund der umliegenden Nutzungen in einer Ortsrandlage.
Die Antragsgegnerin entgegnete hierzu, dass das Vorhaben durchaus als integriert zu bezeichnen sei. Sie verwies dabei u. a. auf den im Entwurf vorliegenden Regionalen Raumordnungsplan, in dem in räumlicher Nähe ein Versorgungsstandort dargestellt sei. Des Weiteren führt sie aus, dass der zentrale Versorgungsbereich fußläufig in knapp 700 m erreichbar sei. Zudem seien Parkplätze im oder neben dem Plangebiet aus ihrer Sicht ausreichend vorhanden und könnten zudem künftig von Besuchern der Innenstadt genutzt werden. Durch unmittelbaren Anschluss an den ÖPNV sei die Erreichbarkeit angemessen hergestellt. Die umliegenden öffentlichen Einrichtungen seien ohnehin stark frequentiert, so dass eine Verkehrsvermeidung erreicht werde.
Der Antrag hatte Erfolg. Der Senat hatte hierzu ausgeführt, dass die Antragsgegnerin das als Ziel der Raumordnung in Nr. 2.3 03 Satz 6 LROP Niedersachsen 2008 enthaltene Integrationsgebot nicht beachtet hatte. Folglich verstieß der Bebauungsplan gegen § 1 Abs. 4 BauGB. Gemäß des genannten Plansatzes sind neue Einzelhandelsgroßprojekte, deren Kernsortimente innenstadtrelevant sind, nur innerhalb der städtebaulich integrierten Lagen zulässig. Das durch den Bebauungsplan abgebildete Vorhaben stellte ohne Zweifel ein Einzelhandelsgroßprojekt mit innenstadtrelevantem Kernsortiment dar, dessen Plangebiet nicht in einer städtebaulich integrierten Lage zu sehen sei.
Der Senat befasste sich folglich mit dem Integrationsgebot und der Frage, ob sich das Vorhaben zumindest an den zentralen Versorgungsbereich anschmiegen würde. Das „Anschmiegen“ bedeute demnach allerdings nicht, dass die Lage eines Vorhabens direkt an den Grenzen eines zentralen Versorgungsbereich zu sehen sein müsse. Es kann somit auch darüber hinaus noch ein „Anschmiegen“ in Betracht gezogen werden. Es wurde allerdings auch ausgeführt, dass die Indizien für die Unterstützungsfunktion eines Vorhabens für einen zentralen Versorgungsbereich umso deutlicher nachgewiesen werden müssen, je weiter der Standort dieses Vorhabens vom zentralen Versorgungsbereich entfernt liege.
Zum städtebaulichen Integrationsgebot führte der Senat weiter aus: Ein „Anschmiegen“ an zentrale Versorgungsbereiche setzt voraus, dass sich der geplante großflächige Einzelhandelsbetrieb dem zentralen Versorgungsbereich unterordnen müsse, wofür er räumlich und funktionell keinen Umfang annehmen dürfe, welcher gleichberechtigt neben die Innenstadt tritt. Hinzu kommen muss ein Beitrag zur Attraktivität des zentralen Versorgungsbereichs. Dieser kann in der Bereitstellung von in der Innenstadt fehlenden Parkplätzen liegen. Gemäß dieser Kriterien konnte der Senat ein Einfügen nicht erkennen.
Zukünftig kann dies den Vorhabenträger bzw. die planende Gemeinde vor entsprechende Herausforderungen bei der Realisierung bzw. Baurechtschaffung großflächiger Vorhaben außerhalb zentraler Versorgungsbereiche stellen. Als Kriterien zur Beurteilung eines „Anschmiegens“ an jene Bereiche nennt der Senat eine fußläufige Erreichbarkeit sowie das Parkplatzangebot, führt jedoch einschränkend aus, dass selbst bei gegebener fußläufiger Erreichbarkeit und großem Parkplatzangebot nicht automatisch von einer integrierten Lage gemäß den Kriterien des Integrationsgebots auszugehen sei. Im Weiteren führt der Senat aus, warum im vorliegenden Fall die genannten Kriterien als nicht erfüllt angesehen werden. Dieser Beschluss wird – je nach Anwendung und Bestimmtheit des Integrationsgebots – auch in anderen Bundesländern bedeutsam sein.
Beschluss
OVG Niedersachsen, Beschl. v. 29.09.2014 – 1 MN 102/14 -, openJur 2014, 21670.